Im deutschen Recht ist das Recht eines Verwandten auf seinen Pflichtteil in aller Munde. Aber was steckt genau dahinter und welche Feinheiten gibt es? Wer ist überhaupt pflichtteilsberechtigt? Wie unterscheidet sich das Erbe vom sogenannten Pflichtteil? Welche Fristen gibt es? Über die häufigsten Problemkreise soll hier kurz und kompakt Auskunft gegeben werden.
Man hört es nicht selten in Familienkreisen: "Wenn Du Dich nicht mit mir verstehst, dann enterbe ich Dich!" Sofern man einer der gesetzlichen Pflichtteilsberechtigten ist, könnte man dann theoretisch locker zurückschlagen mit: "Dann mache ich eben meinen Pflichtteil geltend!"
Eine klassische Enterbung im Sinne von "Du bekommst nichts" ist im deutschen Recht faktisch nicht durchsetzbar, solange es noch Pflichtteilsberechtigte gibt. Über den damit einhergehenden Irrtum sind bereits viele Erblasser gestolpert, was dann wiederum deren Erben "ausbaden" mussten. Die einzige Möglichkeit, das Pflichtteilsrecht für Abkömmlinge nach dem eigenen Ableben auszuschließen, ist der Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrages vor dem Tod. Dies bedarf aber der Zustimmung desjenigen, der später pflichtteilsberechtigt wäre - und das wiederum hängt nicht zuletzt davon ab, wie gesprächsbereit dieser Pflichtteilsberechtigte vor dem Tod des späteren Erblassers (noch) ist.
BEISPIEL: Die ältere Dame Luzie hat nur noch zwei Enkel, zu denen sie keinen Kontakt mehr hat. Ihr Sohn - Vater der Enkel - ist bereits vor etlichen Jahren vorverstorben. Weitere Kinder oder andere Verwandte hat sie nicht. Sie will alles, was sie hat, der jungen Claudia vererben, die zwar nicht mit ihr verwandt ist, sich aber in den letzten Jahren rührend um sie gekümmert hat. Daher schreibt sie ein entsprechendes Testament und vermacht Claudia ihr gesamtes Hab und Gut.
Luzie hinterlässt nach ihrem Tod ein Geldvermögen in Höhe von 70.000 EUR. Plötzlich machen ihre Enkel den Pflichtteil geltend. Dieser beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Was heißt das? Hätte Luzie kein Testament geschrieben, wären die Enkel nach dem Gesetz Alleinerben geworden, das heißt, jeder der Enkel hätte die Hälfte des Nachlasses geerbt. Diese Hälfte für jeden wird nun nochmals halbiert ("Hälfte des gesetzlichen Erbteils"), so dass jeder Enkel einen Anspruch auf Auszahlung eines Viertels des Vermögens hat (1/2 geteilt durch 1/2 ergibt 1/4). Ergo kann jeder Enkel die Zahlung von 17.500 EUR einfordern. Schlussendlich erhält Claudia also nur die Hälfte des Geldvermögens, obwohl sie faktisch Alleinerbin von Luzies Nachlass ist.
Einen Anspruch auf die Geltendmachung eines Pflichtteils hat nur ein ganz besonderer Kreis von Verwandten des Erblassers. Dazu gehören folgende Personen:
Geschwister haben also KEIN Pflichtteilsrecht! Und weiterhin wichtig: Sofern ein vorrangig Pflichtteilsberechtigter vorhanden ist, kann der nachrangig Berechtigte seinen Pflichtteil nicht fordern (eine Ausnahme bildet der Ehegatte, der mit seinem Erb- und Pflichtteilsrecht außerhalb der "Stammesregelungen" im Erbrecht steht).
BEISPIEL: Erblasser Don hat seinen Sohn Emil und dessen Kinder Franz und Gustav durch Testament enterbt und seinen langjährigen Freund Xaver zum Alleinerben eingesetzt. Hier wären sowohl Emil als auch Franz und Gustav theoretisch berechtigt, ihren Pflichtteil von Xaver (als Nachfolger des Don) zu fordern. Da Emil aber näher mit Don verwandt ist und den entsprechenden "Familienstamm" vertritt, sind seine Abkömmlinge Franz und Gustav von ihrem Pflichtteil ausgeschlossen. Anders wäre es allerdings, wenn Emil schon vorverstorben wäre, denn dann könnten Franz und Gustav als "Überlebende des Familienstammes" ihren Pflichtteil gegen den Erben Xaver geltend machen.
Ganz wichtig zu wissen ist, dass der Pflichtteil nichts mit der Stellung eines Erben zu tun hat. Während der Erbe frei über den Nachlass und alle vererbten Gegenstände, Immobilien und Gelder verfügen kann (von der komplizierten Konstellation einer Erbengemeinschaft einmal abgesehen), ist der Pflichtteil ein reiner Geldanspruch eines Enterbten gegenüber dem Erben.
Das bedeutet also, dass der Pflichtteilsberechtigte kein Recht hat, Gegenstände aus dem Nachlass des Verstorbenen für sich zu beanspruchen, wenn der Erbe die Herausgabe verweigert. Das Einzige, was er darf, ist das Einfordern von Geld, und zwar in Höhe der Quote, die ihm der Gesetzgeber für seinen konkreten Einzelfall "zugeteilt" hat. Mit diesem Geldanspruch sind außerdem großzügige Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erben über die Höhe des Nachlasses verbunden. Er kann sogar von dem Erben verlangen, dass er ein Nachlassverzeichnis von einem Notar erstellen lässt, wobei der Pflichtteilsberechtigte dem Notar dann bei der Aufnahme des Verzeichnisses genau genommen "über die Schulter" blicken darf.
Sobald der Berechtigte vom Tod des Erblassers und seiner eigenen Enterbung (durch Testament) erfahren hat, und zwar üblicherweise durch die Zuendung des eröffneten Testaments über das Nachlassgericht, beginnt die Frist zu laufen, die man für die Geltendmachung des Pflichtteils nutzen muss.
MERKE: Der Pflichtteilsanspruch verjährt in drei Jahren ab Kenntnis von Erbfall und Enterbung, wobei die Verjährung am Ende des entspechenden Jahres zu laufen beginnt. Zur Unterbrechung der Verjährung ist grundsätzlich Klage zu erheben. Das heißt, es würde nicht genügen, den Erben kurz vor Ende der Verjährung anzuschreiben und seinen Pflichtteil zu fordern, sondern es müssen fristwahrend gerichtliche Schritte eingeleitet werden.
BEISPIEL: Michael erfährt am 30.05.2016 vom Nachlassgericht, dass sein Vater am 08.05.2016 gestorben ist und ihn testamentarisch enterbt hat. Die Verjährung für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs beginnt am 31.12.2016 zu laufen und dauert drei Jahre, d.h. mit Ablauf des 31.12.2019 wäre der Pflichtteilsanspruch verjährt, wenn Michael bis dahin den Anspruch nicht geltend gemacht bzw. Klage erhoben hat. Ab dem 01.01.2020 wäre dann eine Durchsetzung der Forderung gegenüber dem Erben nicht mehr möglich. Der Erbe könnte sich ab dann auf die Einrede der Verjährung berufen.
Man sollte also keinesfalls zu lange zögern, seinen Pflichtteil einzufordern, weil man sich dadurch möglicherweise den Anspruch komplett abschneidet. Es sollte für jeden Pflichtteilsberechtigten die Regel sein, so schnell wie möglich vom Erben ein Nachlassverzeichnis zu fordern und sich nicht monate- oder gar jahrelang vertrösten zu lassen. Sollte der Erbe uneinsichtig oder nicht informationsbereit sein, ist anwaltliche Hilfe unbedingt geboten, um sich Pflichtteilsansprüche zu sichern.
Es wäre doch zu schön: Um sich nicht um die gesamte Abwicklung des Erbfalles kümmern zu müssen und doch "kassieren" zu können, schlägt man sein Erbe aus und verlangt danach einfach den Pflichtteil von demjenigen, der dann alles erbt. Dabei macht einem das Gesetz jedoch einen Strich durch die Rechnung, denn wenn man ein Erbe ausschlägt, verliert man grundsätzlich seinen Anspruch auf den Pflichtteil? Von diesem Prinzip macht der Gesetzgeber nur in wenigen Fällen eine Ausnahme (siehe dazu § 2306 BGB), z.B. dann, wenn der Erblasser ein Testament hinterlassen und den Erben, der gleichzeitig Pflichtteilsberechtigter ist, durch ein Vermächtnis oder eine Auflage beschwert hat.
BEISPIEL: Yannik ist der einzige Sohn von Helmut. Bei seinem Tod hinterlässt Helmut Geldvermögen in Höhe von 300.000 EUR: Helmut hat Yannik in seinem Testament zwar als Alleinerben eingesetzt, gleichzeitig aber seiner Nichte 100.000 EUR vermacht, die Yannik an sie auszahlen müsste. Yannik kann aufgrund dieser testamentarischen Regelung das Erbe ausschlagen und seinen Pflichtteil geltend machen.
Weitere Ausnahmen finden sich im Ehegattenerbrecht sowie auch dann, wenn jemand als Nacherbe eingesetzt wurde. Im Einzelfall ist zur Möglichkeit der Ausschlagung im Einzelfall immer anwaltlicher Rat geboten.
Sollten Sie eine Beratung oder Vertretung zu Fragen des Pflichtteilsrechts benötigen, bin ich gerne für Sie da! Bitte beachten Sie aber, dass jede anwaltliche Tätigkeit gebührenpflichtig ist.
Ich freue mich auf Ihre Anfrage!
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