Jeder weiß es, jedem ist es bewusst: Sterben müssen wir alle. Und doch wird oft die Frage an mich herangetragen, wer denn nun eigentlich was erbt, wenn kein Testament oder eine sonstige letztwillige Verfügung existiert.
Dabei stelle ich immer wieder fest, dass populäre Mythen und Binsenweisheiten scheinbar nicht aus der öffentlichen Meinung verschwinden wollen, obwohl es gefühlt immer mehr Dokumentationen und Zeitungsartikel zum Thema Erben und Erbfolge gibt und es täglich mehr werden. Aus diesem Grund möchte ich kurz und kompakt erklären, wer erbrechtlich gesehen Ansprüche stellen kann, wenn jemand stirbt, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen (Testament, Erbvertrag o.ä.). Dann kommt das sogenannte gesetzliche Erbrecht zum tragen, bei dem das Gesetz bestimmt, wer erbt.
Es muss und sollte jedem klar sein: Hat der Verstorbene (juristisch "Erblasser" genannt) Abkömmlinge und leben diese noch, schließen diese alle anderen Personen als Erben aus. Als Abkömmlinge gelten dabei übrigens nicht nur die "direkten" Kinder, sondern auch deren Kinder, also Enkel und Urenkel. Das heißt also: Ist wenigstens ein Kind, Enkel oder Urenkel vorhanden, erbt dieser Abkömmling und schließt alle anderen potenziellen Erben aus (sofern er nicht enterbt wurde - dann steht ihm oder ihr aber wiederum ein Pflichtteilsanspruch zu).
Sind adoptierte Kinder vorhanden, wird die Geschichte etwas komplizierter und man muss unterscheiden:
Wurden die Kinder schon als Minderjährige adoptiert, werden dadurch grundsätzlich die "alten" Verwandtschaftsverbindungen (z.B. zur leiblichen Mutter und deren Verwandten) gekappt und es entsteht eine neue Beziehung zur Adoptionsfamilie, mit der das Kind nun offiziell verwandt ist, auch wenn genau genommen keine Blutsverwandtschaft besteht. Die Adoption ersetzt sozusagen die Blutsverwandtschaft und macht das Kind für die Adoptiveltern zu einem leiblichen Abkömmling. Dadurch bestehen auch keine Erbansprüche mit Blick auf die "alte" Familie mehr (also auch kein Pflichtteilsanspruch). Steuerrechtlich ist aber folgendes interessant: Sollte das von einer anderen Familie adoptierte Kind von seinen leiblichen Eltern bedacht worden sein (z.B. durch Testament oder Erbvertrag), gilt für die Erbschaftsteuer eine günstigere Steuerklasse (§ 15 Abs. 1a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes).
Eine Besonderheit gibt es, wenn Verwandte zweiten oder dritten Grades (z.B. Geschwister und Großeltern ein Kind innerhalb der Familie adoptieren. Dann erlischt nur die Verwandtschaft zu den ursprünglichen Eltern (§ 1756 Abs. 1 BGB), also z.B. zur Mutter; alle anderen Verwandtschaftsbeziehungen bleiben erhalten.
Bei Volljährigenadoptionen sieht es dagegen anders aus: Der Adoptierte bleibt mit seiner "alten" Familie grundsätzlich verwandt, aber es entsteht zusätzlich auch mit der "neuen" Familie ein Verwandtschaftsverhältnis. Man schafft sich also quasi eine neue Großfamilie mit vier Elternteilen, von denen man Erb- und Pflichtteilsansprüche hat. Dabei ist aber zu beachten, dass man als volljährig adoptierter nicht mit den Verwandten der "neuen" Eltern verwandt wird, d.h. gegen diese hat man auch keine erbrechtlichen Ansprüche. Die Verwandtschaft bezieht sich also nur auf die "neuen" Eltern an sich.
MERKE: In besonderen Ausnahmefällen kann eine Adoption Volljähriger auch die gleichen Wirkungen haben wie eine Minderjährigenadoption (d.h. die Verwandtschaft zur "alten" Familie wird ausgelöscht). Das kann z.B. laut Gesetz der Fall sein, wenn der zu Adoptierende schon als Minderjähriger in der entsprechenden Familie gelebt hatte (z.B. als Pflegekind) und dadurch eng mit ihr verbunden ist. Im Einzelfall entscheidet das Familiengericht.
Sind keine Kinder oder Kindeskinder vorhanden, denen das Erbe übertragen werden kann, erben nach deutschem Recht die Eltern des Verstorbenen zu gleiche Teilen. Das ist natürlich besonders bitter für Verstorbene ohne Kinder, die mit den Eltern eigentlich zerstritten waren und auf keinen Fall wollten, dass diese etwas erben. Liegt aber kein Testament vor, passiert genau das.
Leben beide Eltern des Erblassers noch, schließen sie Geschwister des Erblassers von der Erbfolge aus. Ist aber ein Elternteil schon vor dem Erblasser (also dem Sohn oder der Tochter) verstorben, treten die Geschwister an de Stelle des vorverstorbenen Elternteils, sie nehmen also quasi seinen "Platz" ein. Ist das der Fall, dann bekommt der überlebende Elternteil die Hälfte des Nachlasses und die weiteren Kinder des verstorbenen Elternteils gemeinsam die andere Hälfte (bzw. wenn nur ein weiteres Kind vorhanden ist, erbt es die verbleibende Hälfte allein). Es entsteht also eine Erbengemeinschaft, die aus dem überlebenden Elternteil und dem überlebenden Kind (Geschwisterteil des Erblassers) besteht.
BEISPIEL: Anton ist kinderlos und unverheiratet verstorben. Er hinterlässt kein Testament, dafür aber ein Sparvermögen von 100.000 EUR. Weiterer Nachlass ist nicht vorhanden.
Von Antons Eltern lebt nur noch seine Mutter Gerda. Sein Vater Bernd war bereits lange vor ihm verstorben. Bernd hatte aus der Ehe mit Gerda noch den weiteren Sohn Michael (Antons Bruder). Aus einer späteren Ehe hatte er noch die Tochter Paula (Antons Halbschwester), zu der Anton aber nie Kontakt hatte auch auch nicht wollte.
Es entsteht also eine Erbengemeinschaft, die aus Gerda, Michael und Paula besteht. Dabei erbt Gerda mit einer Quote von 1/2 und Michael und Paula jeweils zu 1/4, da letztere erbrechtlich an die Stelle des vorverstorbenen Vaters Bernd getreten sind. Dass Paula aus einer späteren Ehe stammt, interessiert das Gesetz nicht, denn sie ist juristisch gesehen Bernds Tochter (also sein "Abkömmling").
Das heißt, Gerda als überlebendem Elternteil steht die Hälfte von Antons Vermögen zu (50.000 EUR). Michael und Paula stehen jeweils 25.000 EUR des Vermögens zu.
Ist ein Elternteil schon vorverstorben und der Erblasser hatte keine Geschwister, so erbt der überlebende Elternteil allein, d.h. er oder sie erbt das gesamte Vermögen des verstorbenen Kindes.
Hatte der Verstorbene keine Kinder und sind beide Eltern auch schon verstorben, erben seine Geschwister, sofern es welche gibt.
Bei Halbgeschwistern kommt es für ihr Erbrecht bzw. ihren Anspruch auf einen Pflichtteil immer auf die Verwandtschaft mit dem Erblasser an.
BEISPIEL: Cordulas Vater stirbt ohne Testament und unverheiratet. Sein Vermögen beträgt 100.000 EUR. Neben Cordula hatte er aus einer früheren Ehe noch den Sohn Connor (Cordulas Halbbruder).
Cordula und Connor bilden eine Erbengemeinschaft und erben zu gleichen Teilen, d.h. jedem stehen 50.000 EUR zu. Wäre Connor vom verstorbenen Vater enterbt und Cordula als Alleinerbin eingesetzt worden, stünde Connor ein Pflichtteilsanspruch von einem Viertel zu (ergo 25.000 EUR des Vermögens), den Cordula erfüllen müsste.
Anders hätte es ausgesehen, wenn z.B. Cordulas Mutter verstorben wäre. Da sie mit Connor nicht blutsverwandt ist, würde in einem solchen Fall nur Cordula als ihr einziger Abkömmling erben. Connor wäre weder erb- noch pflichtteilsberechtigt.
Wenn Geschwister schon vorverstorben sind, kommt es für die Bestimmung der Erbfolge darauf an, ob die Geschwister Kinder hatten (d.h. ob der Erblasser Nichten oder Neffen hatte). Diese treten dann an die Stelle ihrer verstorbenen Eltern und erben vom Onkel bzw. der Tante. Der Grund dafür: Der Stamm des verstorbenen Geschwisterteils setzt sich in dessen Kind fort, ist also sozusagen noch nicht "ausgestorben".
BEISPIEL: Michael ist kinderlos mit einem Vermögen von 50.000 EUR verstorben. Seine Eltern waren lange vor ihm gestorben. Von seinen Geschwistern Paul und Paula lebt nur noch der kinderlose Paul. Paula war schon Jahre vor Michael gestorben, hat aber zwei Kinder (Kevin und Ken).
Paul und die Kinder von Paula bilden eine Erbengemeinschaft, in der Paul 25.000 EUR erbt (die Hälfte) und Kevin und Ken jeweils 12.500 EUR. Das heißt, Kevin und Ken müssen sich die auf ihren Stamm entfallene Quote von 1/2 teilen.
Für den seltenen Fall, dass
sieht das Gesetz vor, dass die Großeltern erben sollen, und zwar zu gleichen Teilen. Ist ein Großelternteil verstorben, treten an Opas oder Omas Stelle deren Kinder (d.h. die Onkel und Tanten des Erblassers) und erben gemeinsam mit dem noch lebenden Großelternteil. Insofern verhält es sich quotenmäßig genau wie beim Erbrecht der Eltern (siehe oben unter Punkt 2).
Sind die Großeltern bereits beide verstorben, treten deren Abkömmlinge vollständig auf den Plan, also die Onkel und Tanten des Erblassers. Als Abkömmlinge zählen hier aber nicht die (verschwägerten) Ehepartner, sondern immer nur die "direkten" Kinder der Großeltern.
Leben auch keine Onkel oder Tanten des Erblassers mehr, treten deren Kinder auf den Plan, sofern davon welche existieren. Das heißt also, die Cousins und Cousinen des Erblassers und deren Kinder stehen fast ganz am Ende der Erbfolge, so dass eine Erbschaft zu ihren Gunsten eher unwahrscheinlich ist (sofern sie nicht in einem Testament als Erben oder Erbinnen eingesetzt wurden).
Den interessanten Abschluss des deutschen Erbrechts bildet die Erbschaft eines Urgroßelternteils. Eine solche kommt angesichts der obigen Ausführungen nur im folgenden Fall in Betracht, der einem Lottogewinn mit Sechser und Zusatzzahl gleicht:
Es besteht ferner die Basonderheit, dass, sofern nur noch ein Urgroßelternteil lebt (also Uropa oder Uroma), dieser alles allein erbt. Es gilt also nicht die Regel wie bei verstorbenen Eltern oder Großelter (siehe oben unter den Punkten 2 und 4), dass deren Kinder an ihre Stelle treten und neben dem noch lebenden Eltern- bzw. Großelternteil ebenfalls erben. Solange zumindest noch ein Uropa oder eine Uroma lebt, erbt dieser bzw. diese bei Vorliegen der übrigen genannten Voraussetzungen allein.
Sind auch nach intensiver Recherche (Stichwort: Erbenermittler) keinerlei Verwandte mehr vorhanden, was in der Praxis äußerst selten ist, erbt der Staat. Das gilt übrigens auch dann, wenn alle verfügbaren Erben das Erbe ausgeschlagen haben, weil der Nachlass z.B. überschuldet ist. Im Gegensatz zu allen anderen Erben der obengenannten Reihenfolge hat der Staat nicht das Privileg, die Erbschaft ausschlagen zu dürfen, sondern der Nachlass fällt ihm mit allen negativen und positiven Aspekten zu. Das heißt also, es gibt faktisch kein Erbe, das "herrenlos" im deutschen Rechtssystem herumwandert.
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