Die 5 häufigsten Irrtümer - wenn Sie den Pflichtteil geltend machen wollen

Wer als naher Angehöriger enterbt wurde, hat in Deutschland trotzdem oft Anspruch auf einen Teil des Nachlasses – den sogenannten Pflichtteil. Doch rund um dieses Thema herrschen viele Missverständnisse. Wer seinen Pflichtteil geltend machen möchte, sollte nicht nur seine Rechte kennen, sondern auch wissen, welche Irrtümer häufig auftreten und wie man typische Fehler vermeidet.

Pflichtteil geltend machen
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Dieser Beitrag klärt über die wichtigsten Irrtümer im Pflichtteilsrecht auf – verständlich erklärt mit Praxisbeispielen. Dabei erfahren Sie, wer überhaupt pflichtteilsberechtigt ist, wie sich das Erbe vom sogenannten Pflichtteil unterscheidet, welche Fristen gelten und wie Sie effektiv Ihren Pflichtteil geltend machen können.

Gerade in konfliktbeladenen Familienkonstellationen, bei großen Vermögen oder komplexen Testamenten kann es entscheidend sein, schnell und rechtssicher zu handeln. Lesen Sie jetzt, was Sie unbedingt wissen sollten – und warum anwaltlicher Rat oft unerlässlich ist.

Übersicht:

  1. Keine Sorge, die Kinder sind enterbt (und kriegen trotzdem Geld)
  2. Der Bruder hat Anspruch auf seinen Pflichtteil, oder etwa nicht?
  3. Ich bin enterbt und will die alte Vase von Mutter haben - geht das denn?
  4. Wir haben ja Zeit - Fristen für den Pflichtteil
  5. Erbe oder doch nicht? - Ausschlagung und Pflichtteil
  6. Fazit: Was Sie wissen sollten, wenn Sie Ihren Pflichtteil geltend machen wollen
  7. FAQ (Häufige Fragen)

1. Keine Sorge, die Kinder sind enterbt (und kriegen trotzdem Geld)

Man hört es nicht selten in Familienkreisen: "Wenn Du Dich nicht mit mir verstehst, dann enterbe ich Dich!" Sofern man einer der gesetzlichen Pflichtteilsberechtigten ist, könnte man dann theoretisch locker zurückschlagen mit: "Dann mache ich eben meinen Pflichtteil geltend!"

Eine klassische Enterbung im Sinne von "Du bekommst nichts" ist im deutschen Recht faktisch nicht durchsetzbar, solange es noch Pflichtteilsberechtigte gibt (§ 2303 BGB). Über den damit einhergehenden Irrtum sind bereits viele Erblasser gestolpert, was dann wiederum deren Erben "ausbaden" mussten.

Die einzige Möglichkeit, das Pflichtteilsrecht für Abkömmlinge nach dem eigenen Ableben auszuschließen, ist der Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrages vor dem Tod (§ 2346 BGB). Dieser muss notariell beurkundet werden und bedarf der Zustimmung desjenigen, der später pflichtteilsberechtigt wäre - und das wiederum hängt nicht zuletzt davon ab, wie gesprächsbereit dieser Pflichtteilsberechtigte vor dem Tod des späteren Erblassers (noch) ist.

Ein Beispiel - Die ältere Dame Luzie:

Die ältere Dame Luzie hat nur noch zwei Enkel, zu denen sie keinen Kontakt mehr hat. Ihr Sohn - Vater der Enkel - ist bereits vor etlichen Jahren vorverstorben. Weitere Kinder oder andere Verwandte hat sie nicht. Sie will alles, was sie hat, der jungen Claudia vererben, die zwar nicht mit ihr verwandt ist, sich aber in den letzten Jahren rührend um sie gekümmert hat. Daher schreibt sie ein entsprechendes Testament und vermacht Claudia ihr gesamtes Hab und Gut.

Luzie hinterlässt nach ihrem Tod ein Geldvermögen in Höhe von 70.000 EUR. Plötzlich wollen ihre Enkel den Pflichtteil geltend machen. Dieser beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Was heißt das? Hätte Luzie kein Testament geschrieben, wären die Enkel nach dem Gesetz Alleinerben geworden, das heißt, jeder der Enkel hätte die Hälfte des Nachlasses geerbt. Diese Hälfte für jeden wird nun nochmals halbiert ("Hälfte des gesetzlichen Erbteils"), so dass jeder Enkel einen Anspruch auf Auszahlung eines Viertels des Vermögens hat (1/2 geteilt durch 1/2 ergibt 1/4). Ergo kann jeder Enkel die Zahlung von 17.500 EUR einfordern. Schlussendlich erhält Claudia also nur die Hälfte des Geldvermögens, obwohl sie faktisch Alleinerbin von Luzies Nachlass ist.

Die gesetzliche Erbfolge

Alles über die gesetzliche Erbfolge erfahren Sie in diesem Artikel.

2. Der Bruder hat Anspruch auf seinen Pflichtteil, oder etwa nicht?

Nur ein bestimmter Personenkreis kann einen Pflichtteil geltend machen. Dazu gehören folgende Personen:

  • die Abkömmlinge
  • der Ehegatte
  • die Eltern des Verstorbenen, sofern der Verstorbene keine Kinder hatte

Geschwister haben also KEIN Pflichtteilsrecht! Und weiterhin wichtig: Sofern ein vorrangig Pflichtteilsberechtigter vorhanden ist, kann der nachrangig Berechtigte seinen Pflichtteil nicht fordern (eine Ausnahme bildet der Ehegatte, der mit seinem Erb- und Pflichtteilsrecht außerhalb der "Stammesregelungen" im Erbrecht steht).

Was erbt der Ehegatte

Mehr über das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten erfahren Sie in diesem Beitrag.

Ein Beispiel - Erblasser Don:

Erblasser Don hat seinen Sohn Emil und dessen Kinder Franz und Gustav durch Testament enterbt und seinen langjährigen Freund Xaver zum Alleinerben eingesetzt. Hier wären sowohl Emil als auch Franz und Gustav theoretisch berechtigt, ihren Pflichtteil von Xaver (als Nachfolger des Don) zu fordern. Da Emil aber näher mit Don verwandt ist und den entsprechenden "Familienstamm" vertritt, sind seine Abkömmlinge Franz und Gustav von ihrem Pflichtteil ausgeschlossen. Anders wäre es allerdings, wenn Emil schon vorverstorben wäre, denn dann könnten Franz und Gustav als "Überlebende des Familienstammes" ihren Pflichtteil gegen den Erben Xaver geltend machen.

3. Ich bin enterbt und will die alte Vase von Mutter haben - geht das denn?

Auch wenn der emotionale Wert eines Gegenstandes hoch ist: Pflichtteilsberechtigte können keine konkreten Gegenstände aus dem Nachlass einfordern, denn Pflichtteilsberechtigte sind keine Erben. Wer seinen Pflichtteil geltend machen will, kann ausschließlich einen Geldbetrag verlangen – auf Basis seines gesetzlichen Erbanteils.

Das bedeutet also, dass der Pflichtteilsberechtigte kein Recht hat, Gegenstände aus dem Nachlass des Verstorbenen für sich zu beanspruchen, wenn der Erbe die Herausgabe verweigert. Das Einzige, was er darf, ist das Einfordern von Geld, und zwar in Höhe der Quote, die ihm der Gesetzgeber für seinen konkreten Einzelfall "zugeteilt" hat.

Mit diesem Geldanspruch sind außerdem großzügige Auskunftsansprüche des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erben über die Höhe des Nachlasses verbunden. Er kann sogar von dem Erben verlangen, dass er ein Nachlassverzeichnis von einem Notar erstellen lässt, wobei der Pflichtteilsberechtigte dem Notar dann bei der Aufnahme des Verzeichnisses genau genommen "über die Schulter" blicken darf.

4. Wir haben ja Zeit - Fristen für den Pflichtteil

Viele lassen sich Zeit – zu viel Zeit. Wer den Pflichtteil geltend machen möchte, sollte wissen: Die Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem man von Enterbung und Tod des Erblassers erfahren hat (üblicherweise durch die Zusendung des eröffneten Testaments über das Nachlassgericht) . Danach bleiben drei Jahre für die Geltendmachung.

Ein einfaches Schreiben reicht nicht – es muss gerichtlich geltend gemacht werden. Zur Unterbrechung der Verjährung ist demnach grundsätzlich Klage zu erheben. Das heißt, es würde nicht genügen, den Erben kurz vor Ende der Verjährung anzuschreiben und seinen Pflichtteil zu fordern, sondern es müssen fristwahrend gerichtliche Schritte eingeleitet werden.

Ein Beispiel - Michael:

Michael erfährt am 30.05.2016 vom Nachlassgericht, dass sein Vater am 08.05.2016 gestorben ist und ihn testamentarisch enterbt hat. Die Verjährung für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs beginnt am 31.12.2016 zu laufen und dauert drei Jahre, d.h. mit Ablauf des 31.12.2019 wäre der Pflichtteilsanspruch verjährt, wenn Michael bis dahin den Anspruch nicht geltend gemacht bzw. Klage erhoben hat. Ab dem 01.01.2020 wäre dann eine Durchsetzung der Forderung gegenüber dem Erben nicht mehr möglich. Der Erbe könnte sich ab dann auf die Einrede der Verjährung berufen.

Man sollte also keinesfalls zu lange zögern, seinen Pflichtteil einzufordern, weil man sich dadurch möglicherweise den Anspruch komplett abschneidet. Es sollte für jeden Pflichtteilsberechtigten die Regel sein, so schnell wie möglich vom Erben ein Nachlassverzeichnis zu fordern und sich nicht monate- oder gar jahrelang vertrösten zu lassen. Sollte der Erbe uneinsichtig oder nicht informationsbereit sein, ist anwaltliche Hilfe unbedingt geboten, um sich Pflichtteilsansprüche zu sichern.

5. Erbe oder doch nicht? - Ausschlagung und Pflichtteil

Es wäre doch zu schön: Um sich nicht um die gesamte Abwicklung des Erbfalles kümmern zu müssen und doch "kassieren" zu können, schlägt man sein Erbe aus und verlangt danach einfach den Pflichtteil von demjenigen, der dann alles erbt. Dabei macht einem das Gesetz jedoch einen Strich durch die Rechnung, denn wenn man ein Erbe ausschlägt, verliert man grundsätzlich seinen Anspruch auf den Pflichtteil?

Von diesem Prinzip macht der Gesetzgeber nur in wenigen Fällen eine Ausnahme (siehe dazu § 2306 BGB), z.B. dann, wenn der Erblasser ein Testament hinterlassen und den Erben, der gleichzeitig Pflichtteilsberechtigter ist, durch ein Vermächtnis oder eine Auflage beschwert hat.

Ein Beispiel - Yannik:

Yannik ist der einzige Sohn von Helmut. Bei seinem Tod hinterlässt Helmut Geldvermögen in Höhe von 300.000 EUR: Helmut hat Yannik in seinem Testament zwar als Alleinerben eingesetzt, gleichzeitig aber seiner Nichte 100.000 EUR vermacht, die Yannik an sie auszahlen müsste. Yannik kann aufgrund dieser testamentarischen Regelung das Erbe ausschlagen und seinen Pflichtteil geltend machen.

Weitere Ausnahmen finden sich im Ehegattenerbrecht sowie auch dann, wenn jemand als Nacherbe eingesetzt wurde. Im Einzelfall ist zur Möglichkeit der Ausschlagung im Einzelfall immer anwaltlicher Rat geboten.

Sollten Sie eine Beratung oder Vertretung zu Fragen des Pflichtteilsrechts benötigen, bin ich gerne für Sie da! Bitte beachten Sie aber, dass jede anwaltliche Tätigkeit gebührenpflichtig ist.

Ich freue mich auf Ihre Anfrage!

 

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6. Fazit: Was Sie wissen sollten, wenn Sie Ihren Pflichtteil geltend machen wollen

  • Eine Enterbung entzieht pflichtteilsberechtigten Personen nicht automatisch den Anspruch.
  • Nur bestimmte Verwandte wie Kinder, Ehepartner oder Eltern können ihren Pflichtteil geltend machen.
  • Der Pflichtteil ist ein reiner Geldanspruch.
  • Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre – und läuft ab Kenntnis von Enterbung und Tod des Erblassers.
  • Eine rechtzeitige Klage ist notwendig, um die Frist zu wahren.
  • Ausschlagung und Pflichtteil schließen sich oft aus – es sei denn, gesetzliche Ausnahmen greifen.
  • Nur ein notarieller Pflichtteilsverzicht kann den Anspruch auf einen Pflichtteil wirksam ausschließen.

7. FAQ (Häufige Fragen)

Wer kann einen Pflichtteil geltend machen?

Kinder, Enkel (wenn die Kinder vorverstorben sind), Ehepartner und Eltern – aber nicht Geschwister oder entferntere Verwandte.

Habe ich beim Pflichtteil Anspruch auf Gegenstände oder Geld?

Der Pflichtteil ist stets ein Geldanspruch. Gegenstände aus dem Nachlass können nur Erben beanspruchen.

Wie lange habe ich Zeit, um den Pflichtteil geltend zu machen?

Drei Jahre, ab Ende des Jahres, in dem man über Enterbung und Erbfall informiert wurde. Zur Fristwahrung muss eine gerichtliche Geltendmachung erfolgen.

Was passiert, wenn ich das Erbe ausschlage?

In den meisten Fällen erlischt dann auch der Pflichtteilsanspruch. Ausnahmen gelten z. B. bei belastenden Auflagen oder Nacherbschaft.

Kann ich den Pflichtteil durch ein Testament ausschließen?

Nein. Nur ein notarieller Pflichtteilsverzicht zu Lebzeiten kann den Anspruch rechtssicher ausschließen.

Was ist ein Pflichtteilsverzicht?

Ein Vertrag zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem, der notariell beurkundet werden muss. Häufig wird er gegen Abfindung abgeschlossen.

Bildquellennachweise: RemoloTavani | mixetto | nkubarek | Canva.com

Sebastian Fehse
Sabrina Bauroth (LL.M., CertHE)
Rechtsanwältin / Legal Counsel / Barrister
Rechtsanwältin Sabrina Bauroth, LL.M., CertHE, ist eine erfahrene Anwältin mit breitem juristischen Fachwissen und umfassenden Qualifikationen. Sie ist seit 2014 Mitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin und spezialisiert auf Erbrecht und DDR-Überleitungsrecht. Mit einem Master of Laws (LL.M.) in Human Rights and Criminal Justice, sowie Zertifizierungen als Testamentsvollstreckerin und Unternehmensnachfolgeberaterin besitzt sie eine herausragende Expertise.
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